Welche Rolle spielen die Biofaktoren Vitamin B1 und Vitamin B12 bei der diabetischen Polyneuropathie?

Mit rund 9 Millionen Patienten und einer Dunkelziffer von weiteren 2 Millionen Deutschlandweit gilt Diabetes mellitus als eine der größten Zivilisationskrankheiten unserer Zeit und kann verschiedene Folge- und Begleiterkrankungen nach sich ziehen. Hierzu zählen neben der diabetischen Nephro- oder Retinopathie vor allem Hypertonie und Herz-Kreislauferkrankungen und diabetische Neuropathien. Etwa jeder dritte Diabetespatient entwickelt eine diabetische Polyneuropathie mit teils starken neuropathischen Schmerzen. Welche Aufgaben den Biofaktoren Vitamin B1 und B12 zukommt, zeigt dieser Beitrag.

Hoher Zucker schädigt die Nerven

Etwa jeder dritte Diabetespatient entwickelt eine diabetische Polyneuropathie. Der Bildung von Advanced Glycation Endproducts – schädlichen Endprodukten des Zuckerstoffwechsels – wird dabei eine zentrale Rolle zugesprochen.1 Diese AGEs verursachen direkte Schäden an Nerven und Blutgefäßen.2

Neben der optimalen Blutzuckereinstellung und Verzicht auf Risikofaktoren wie Nikotin und unkontrollierten Alkoholgenuss ist die optimale Versorgung mit Vitamin B1 eine Möglichkeit, in die Entstehung der Neuropathie einzugreifen. Vitamin B1 leitet die überschüssige Glukose auf einen Stoffwechselweg um, bei dem keine AGEs entstehen. Bei erhöhtem Blutzuckerspiegel steigt daher der Vitamin-B1-Bedarf und es kann zu einem Mangel kommen. Dies bestätigte erneut eine aktuelle Metaanalyse vom April 2023, die zeigt, dass Diabetespatienten niedrigere Vitamin-B1-Konzentrationen im Blut aufweisen als Personen ohne Diabetes.3

Zum Ausgleich eines Vitamin-B1-Mangels wird häufig das wasserlösliche Thiamin aufgrund seiner begrenzten Aufnahmekapazität durch das lipidlösliche Benfotiamin mit fünffach höherer Bioverfügbarkeit ersetzt.4 In klinischen Studien zeigte sich, dass Benfotiamin neuropathische Symptome innerhalb von drei bis sechs Wochen verbessern konnte.5

Vitamin-B12-Mangel geht an die Nerven

Nicht bei jedem Typ-2-Diabetiker reicht ein Lifestyle-Change, um den erhöhten Blutglukosespiegel dauerhaft zu senken. Bei diesen Patienten kommt oft das orale Antidiabetikum Metformin zum Einsatz, dass allerdings bei Langzeiteinnahme das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel erhöht:6

  • Etwa 30 % der Patienten unter Metformin-Medikation leiden unter einem Vitamin-B12-Mangel.7
  • Einer Metaanalyse zufolge haben Patienten mit Typ-2-Diabetes, die eine tägliche Dosis von mehr als 2.000 mg Metformin einnehmen, ein dreifach höheres Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel als Patienten ohne Metformin-Einnahme.8
  • Ein Vitamin-B12-Mangel wiederum erhöht das Risiko für Neuropathien.9
  • Beispielsweise zeigte eine aktuelle Studie, dass bei Typ-2-Diabetes-Patienten, die mit Metformin behandelt werden, das Risiko für die Entwicklung einer Neuropathie um 84 % höher liegt als bei Patienten ohne Metformin.10
  • Die diabetische Neuropathie und die Vitamin-B12-Mangel-Neuropathie können sich überlagern bzw. lassen sich die Ursachen dieser Neuropathien weder klinisch noch messtechnisch differenzieren. Daher ist es bei Diabetespatienten unter Metfomin-Therapie besonders wichtig, die Vitamin-B12-Versorung im Blick zu haben.
  • Die Substitution von Vitamin B12 ist durch die Verfügbarkeit einer hochdosierten oralen Therapie deutlich erleichtert worden.

Fazit für die Praxis?

Neben einem Lifestyle-Change mit Ernährungsumstellung und mehr Bewegung sollte ein Mangel an Vitamin B1 und Vitamin B12 vermieden werden. Falls ein solcher Mangel diagnostiziert wird und alimentär nicht zu beheben ist, empfiehlt sich eine entsprechende Supplementierung, um dem Typ-2-Diabetes und seinen Folge- und Begleiterkrankungen entgegenwirken zu können.

Weitere Informationen auch zu den hier genannten und anderen Biofaktoren finden Sie hier.

 

Am 18. November 2023 findet das 13. Symposium der GfB als Online-Veranstaltung zum Thema „Biofaktoren und Hirnleistung – eine Bestandsaufnahme. Wissenschaftliche Erkenntnisse und fundierte Praxistipps“ statt (https://www.gf-biofaktoren.de/symposium-2023/)

 

Literatur


(1) Stirban A et al.: Vascular effects of advanced glycation endproducts: Clinical effects and molecular mechanisms. Molecular Metabolism 2014; 3: 94-108

(2) Deutscher Gesundheitsbericht Diabetes 2023. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Redaktion Diabetes-Journal, Mainz, November 2022

(3) Ziegler D et al.: Association between diabetes and thiamine status - A systematic review and meta-analysis. Metabolism. 2023 Apr 22:155565. doi: 10.1016/j.metabol.2023.155565. Epub ahead of print. PMID: 37094704

(4) Loew D: Pharmacokinetics of thiamine derivatives especially of benfotiamine. Int J Clin Pharm Ther 1996; 34(2): 47-50

(5) Stracke H et al.: Benfotiamine in diabetic polyneuropathy (BENDIP): results of a randomised, double blind, placebo-controlled clinical study. Exp Clin Endocrinol Diabetes 2008; 116(10): 600-605

(6) Damião CP et al.: Prevalence of vitamin B12 deficiency in type 2 diabetic patients using metformin: a cross-sectional study. Sao Paulo Med J 2016 Nov-Dec; 134(6): 473-479

(7) Chapman et al.: Association between metformin and vitamin B12 deficiency in patients with type 2 diabetes: A systematic review and meta-analysis. Diabetes metab 2016 Nov; 42(5): 316-327

(8) Yang W et al. Associations between metformin use and vitamin B12 levels, anemia, and neuropathy in patients with diabetes: a metaanalysis. J Diabetes 2019; 11 (9): 729–743

(9) Wolffenbuttel BHR et al.: The Many Faces of Cobalamin (Vitamin B12) Deficiency. Mayo Clin Proc Inn Qual Out 2019; 3(2): 200-214

(10) Yang R et al.: Metformin treatment and risk auf diabetic peripheral neuropathy in patients with type 2 diabetes mellitus in Beijing, China. Front Endocrinol 14: 1082720. doi: 10.3389/fendo.202310827720