Vitamin B12 (Cobalamin) ist ein wasserlösliches Vitamin und kann vom menschlichen Organismus nicht selber hergestellt werden. Der Mensch muss den Biofaktor über seine Ernährung zu sich nehmen, wobei die Versorgung weitgehend nur über Lebensmittel tierischen Ursprungs möglich ist. Die meisten Menschen in Deutschland sind ausreichend mit Vitamin B12 versorgt, jedoch nehmen etwa 8 % der Männer und sogar 26 % der Frauen weniger Vitamin B12 über die Nahrung auf, als von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird. Vor allem schwangere Frauen, Veganer, Senioren sowie Menschen mit Magen-Darmerkrankungen und Einnahme bestimmter Arzneimittel gehören zu den Risikogruppen für einen Vitamin B12-Mangel. Bei ungenügender Zufuhr über die Nahrung, gestörter Resorption und erhöhtem Bedarf sowie bei Vitamin B12-Mangel-Erkrankungen ist eine Vitamin B12-Supplementierung sinnvoll.
Laut Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE)1 beträgt die angemessene tägliche Zufuhr folgende Mengen des Biofaktors Vitamin B12:
Säuglinge | Empfohlene Zufuhr |
0 bis unter 4 Monate | 0,5 µg/Tag |
4 bis unter 12 Monate | 1,4 µg/Tag |
Kinder | |
1 bis unter 4 Jahre | 1,5 µg/Tag |
4 bis unter 7 Jahre | 2,0 µg/Tag |
7 bis unter 10 Jahre | 2,5 µg/Tag |
10 bis unter 13 Jahre | 3,5 µg/Tag |
13 bis unter 15 Jahre | 4,0 µg/Tag |
Jugendliche und Erwachsene | |
15 bis 65 Jahre und älter | 4,0 µg/Tag |
Schwangere | 4,5 µg/Tag |
Stillende | 5,5 µg/Tag |
Der Schätzwert für die Zufuhr wurde von der DGE im Jahr 2019 von 3,0 auf 4,0 µg/Tag für Erwachsene erhöht.
Laut der Nationalen Verzehrsstudie II (NVSII, 2008)2 liegt die mittlere tägliche Zufuhr von Vitamin B12 bei Männern bei 5,8 µg/Tag und bei Frauen bei 4,0 µg/Tag und damit über den Empfehlungen der DGE. Dennoch erreichen 8 % der Männer und 26 % der Frauen die empfohlene Tageszufuhr nicht. Bei den jungen Frauen zwischen 14 und 24 Jahren sind es sogar 33 %, die weniger Vitamin B12 als von der DGE empfohlen aufnehmen. Da die Vitamin B12-Versorgung weitgehend nur durch Lebensmittel tierischen Ursprungs möglich ist, sind Vegetarier und insbesondere Veganer gefährdet, zu wenig von dem Biofaktor aufzunehmen. Auch Menschen mit Magen-Darm-Erkrankungen gehören zu den Risikogruppen eines Vitamin B12-Mangels. Zudem leiden häufig ältere Menschen unter einer Vitamin B12-Unterversorgung, meist verursacht durch Resorptionsstörungen. Laut Ergebnis der Augsburger KORA-Age-Studie sind rund ein Drittel der Menschen über 65 Jahre von einer Vitamin B12-Unterversorgung betroffen. Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko weiter an: bei den 85- bis 93-Jährigen sind es 37,6 %3.
Die Ursachen für einen Mangel des Biofaktors sind vielfältig. Die Unterversorgung kann durch eine ungenügende alimentäre Zufuhr, vor allem bei veganer oder streng vegetarischer Ernährung, verursacht werden. Veganer entwickeln mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Vitamin B12-Mangel, während es bei Lakto-Ovo-Vegetariern, die auch Eier und Milchprodukte essen, seltener zu einer Vitamin B12-Unterversorgung kommt4. Bei beiden Risikogruppen sollte regelmäßig der Vitamin B12-Blutspiegel kontrolliert werden.
In Schwangerschaft und Stillzeit ist der Vitamin B12-Bedarf erhöht. Daher ist wiederum das Risiko bei Veganern und Vegetariern größer, einen Vitamin B12-Mangel zu entwickeln und diesen an das Kind weiterzugeben. Ein Vitamin B12-Defizit in der Schwangerschaft kann schwere neurologische oder hämatologische Folgen für den Säugling haben, weshalb regelmäßige Blutspiegelkontrollen – auch in der Stillzeit – zu empfehlen sind.
Nicht zuletzt können Alkoholabusus und Rauchen zu einem Mangel des Biofaktors führen.
Ein Vitamin B12-Mangel kann weiterhin durch Malabsorption bei Darmkrankheiten (Morbus Crohn, Zöliakie), Darmoperationen oder Darmresektionen hervorgerufen werden, da zu wenig Vitamin B12 über den Darm aufgenommen wird. Ein Mangel des Transport-Proteins Intrinsic-Faktor (siehe weiter unten), verursacht durch eine chronische Gastritis, nach Magenteilresektionen oder bei einer Typ-A-Gastritis (einer Autoimmunerkrankung des Magens), führt ebenfalls zu einer verminderten Vitamin B12-Aufnahme.
Ein Vitamin B12-Mangel, gerade bei älteren Menschen, wird auch häufig durch Arzneimittel ausgelöst5. So können sich Magensäureblocker (Antacida, Protonenpumpenhemmer und H2-Antagonisten) ungünstig auf den Vitamin B12-Blutspiegel auswirken. Eine Studie konnte zeigen, dass sich das Risiko eines Vitamin B12-Mangels durch eine langfristige Einnahme von Protonenpumpenhemmern um 65%, bei H2-Blockern um 25% erhöht6.
Auch Diabetiker, die Metformin einnehmen, können in einen Vitamin B12-Mangel geraten. Studien konnten nachweisen, dass der Vitamin B12-Mangel von Diabetikern, die Metformin einnehmen, dreifach erhöht ist im Vergleich zu Diabetikern ohne Metformin-Einnahme7,8. Die Vitamin B12-Aufnahme und Verfügbarkeit können zudem durch Methotrexat, Phenobarbital, Colchicin, Colestyramin, Kontrazeptiva, Methyldopa und Antiepileptika verringert werden.
Nicht zuletzt können Nierenerkrankungen, Störungen des Vitamin B12-Stoffwechsels sowie Fischbandwurmbefall und andere Darmparasiten einen Vitamin B12-Mangel verursachen.
Vitamin B12 ist ein Überbegriff für verschiedene im menschlichen Körper wirksame Verbindungen mit demselben chemischen Grundgerüst: den sogenannten Cobalaminen. Therapeutisch werden die zwei Formen Cyano- und Hydroxocobalamin eingesetzt, die im Körper zu wirksamen Formen umgewandelt werden können (Methyl- und 5‘-Adenosylcobalamin).
Methylcobalamin findet bisher nicht therapeutisch, sondern nur in Form von Nahrungsergänzungsmitteln Verwendung. Auch bei Zufuhr von Methylcobalamin wird dieses zunächst umgebaut und muss in den Körperzellen wieder zu Methylcobalamin restituiert werden.
Rolle von Cobalamin für den menschlichen Körper
Cobalamin ist für den Organismus unverzichtbar9. So ist Vitamin B12 – zum Teil in Kombination mit dem Biofaktor Folsäure – an der DNA-Synthese und damit an allen Wachstumsprozessen beteiligt und essentiell für die Erneuerung und Vermehrung der Körperzellen. Wichtig ist der Biofaktor auch für die Erythropoese (Bildung der roten Blutkörperchen). Bei einem Vitamin B12-Mangel kann es daher zu Blutbildungsstörungen und Blutarmut kommen. Außerdem hat Vitamin B12 eine wichtige Funktion für das zentrale Nervensystem, da es an Bildung und Regeneration der Myelinscheiden (Isolierschicht, die Nervenfasern umschließt) beteiligt ist.
Vitamin B12 wird aktiv und passiv resorbiert
Nach der Aufnahme über die Nahrung gelangt Vitamin B12 (Cobalamin) in mehreren Schritten ins Blut. Im ersten Schritt wird es an das Protein Haptocorrin (HC) gebunden, dass das säureempfindliche Cobalamin vor dem niedrigen pH-Wert des Magens schützt. Im Zwölffingerdarm spaltet sich HC ab, und Cobalamin wird an den aus Magenzellen abgegebenen Intrinsic Factor (IF) gebunden. Im Dünndarm wird Vitamin B12 aktiv in der an den IF gebundenen Form resorbiert. Die Resorptionskapazität ist dabei auf ca. 1 mg täglich begrenzt. Zudem wird Vitamin B12 jedoch auch in geringem Umfang passiv, über Diffusion, aufgenommen und gelangt auf diese Weise ins Blut. Für diesen Mechanismus spielt der IF keine Rolle, und es gibt keine relevante Begrenzung der Resorptionskapazität. Therapeutisch kann man diesen passiven Resorptionsmechanismus u.a. bei Patienten mit fehlendem IF (z.B. nach Magenresektion) nutzen, um eine ausreichende Vitamin B12-Resorption zu gewährleisten. Studien konnten zeigen, dass nach oraler Verabreichung von 1.000 µg Vitamin B12 10,5 µg über den Darm aufgenommen werden, davon nur 14 % über den IF und 86 % passiv über den Diffusionsmechanismus10. Weiterhin konnte belegt werden, dass eine orale Hochdosistherapie von 1.000-2.000 µg Vitamin B12 bei Resorptionsstörungen genauso wirksam ist wie die intramuskuläre Injektion11,12.
Vitamin B12 wird sowohl in der Leber als auch in der Muskulatur gespeichert. Erst wenn die Vitamin B12-Speicher dort fast leer sind, treten klinische Beschwerden auf. Betroffen ist einerseits das Nervensystem (zentral und peripher), andererseits das blutbildende System. Die Mangelsymptome können dabei völlig unabhängig voneinander auftreten. Wegen der langsamen Speicherentleerung zeigen sich Symptome eines Vitamin B12-Mangel häufig erst nach Monaten oder Jahren. Sind die Folgen des Mangels sehr weit fortgeschritten, sind sie allerdings irreversibel, insbesondere im Bereich des Nervensystems.
Unspezifische Beschwerden
Ein Vitamin B12-Mangel zeigt sich anfangs mit unspezifischen physischen und psychischen Symptomen. Betroffene Personen sind müde, schlapp und zeigen eine geschwächte Immunabwehr. Sie fühlen sich unsicher auf den Beinen und leiden unter Missempfindungen in den unteren Extremitäten wie Kribbeln, Brennen und Taubheitsgefühlen. Ein Vitamin B12-Mangel zeigt sich auch im psychischen Bereich mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen und Gedächtnisschwäche. Betroffene Personen können zunehmend verwirrt wirken und unter Stimmungsschwankungen leiden.
Neurologische Erkrankungen (funikuläre Myelose und Polyneuropathie)
Ein unerkannter Vitamin B12-Mangel kann ernsthafte neurologische Erkrankungen nach sich ziehen. Im Zentralnervensystem steht meist die Degeneration der Hinterstränge des Rückenmarks (zum Gehirn ziehende Nervenfasern im Rückenmark) und der wichtigsten motorischen Leitungsbahn (Pyramidenbahn) im Vordergrund (funikuläre Myelose); daraus resultieren Störungen der Tiefensensibilität (fehlende Information der motorischen Hirnzentren über die Extremitätenstellung in den Gelenken) und damit eine Gang- und Standunsicherheit. Eine typische Beschwerde ist auch ein Einschnür- oder Manschettengefühl an den Unterschenkeln und Fußgelenken. Zusätzlich kommt es zu neurologischen Ausfällen am peripheren Nervensystem (Polyneuropathie), die sich mit Taubheit, Kribbelgefühl und schmerzhaften Missempfindungen an Händen und Füßen manifestieren.
Kognitive Beeinträchtigungen
Studien zeigen, dass bei einem Vitamin B12-Mangel ein erhöhtes Risiko besteht, eine Demenz zu entwickeln13. Ein Mangel des Biofaktors ist mit signifikant geringeren Gedächtnisleistungen verknüpft14 und zählt zu den häufigsten Ursachen einer Demenz15. Vaskuläre Demenzen können durch einen erhöhten Blutspiegel von Homocystein, einer gefäßschädigenden Aminosäure, bedingt sein, der durch Vitamin B12-Supplemente reduziert werden kann16,17.
Depressionen
Bei etwa 30 % der Menschen, die unter Depressionen leiden, wurde ein erniedrigter Vitamin B12-Blutspiegel nachgewiesen. Insbesondere bei Senioren mit einem Vitamin B12-Mangel wird ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression beobachtet18. Zudem konnten Studien zeigen, dass eine Vitamin B12-Supplementierung depressive Patienten besser auf Antidepressiva (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)) reagieren lässt19.
Wird der zugrunde liegende Vitamin B12-Mangel rechtzeitig erkannt und behoben, sind einige Schäden reversibel. Bei weiter fortschreitender Erkrankung sind die Nervenschäden allerdings irreparabel.
Megaloblastäre Anämie
Ein langandauernder Vitamin B12-Mangel führt zu Blutbildveränderungen in Form einer megaloblastären Anämie. Die megaloblastäre Anämie ist eine bestimmte Form der Blutarmut, bei der die DNA-Synthese der blutbildenden Zellen im Knochenmark gestört ist. Es kommt zu Entwicklungsstörungen der Erythrozyten (roten Blutkörperchen) mit zu wenigen, aber wesentlich größeren Erythrozyten, weil zwar die Zellteilung, aber nicht das Zellwachstum gestört ist. Da hierdurch weniger Sauerstoff im Blut transportiert wird, zeigt sich die megaloblastäre Anämie symptomatisch durch Schwäche, Müdigkeit, Schwindel und blasse Haut und Schleimhäute. Die Kombination der megaloblastären Anämie mit den oben genannten Symptomen des Nervensystems infolge eines IF-Mangels oder antikörperbedingter IF-Inaktivierung wird historisch als perniziöse Anämie oder Perniziosa bezeichnet.
Achtung: Eine megaloblastäre Anämie kann nicht nur durch einen Vitamin B12-, sondern auch durch einen Folsäure-Mangel ausgelöst werden, weshalb bei einem Verdacht grundsätzlich beide Biofaktoren kontrolliert werden müssen. Eine alleinige Folsäure-Supplementierung bei gleichzeitig vorliegendem Vitamin B12-Mangel würde Vitamin B12-abhängige neurologische Störungen verstärken.
Gute Vitamin B12-Lieferanten sind Fleisch und Fleischerzeugnisse, vor allem Innereien, Wurstwaren, Eier, Fisch und Krustentiere sowie Milch und Milchprodukte. Allerdings sind Vitamin B12-Derivate licht- und hitzeempfindlich, so dass Braten, Kochen und besonders wiederholtes Erwärmen in der Mikrowelle zu Verlusten des Biofaktors von bis zu 30 % führen kann. Die Vitamin B12-Verluste können durch eine schonende Zubereitung der Lebensmittel auf rund 10 % reduziert werden.
Lebensmittel pflanzlichen Ursprungs tragen nicht zur Vitamin B12-Versorgung bei.
Vitamin B12 kann bei oraler Zufuhr nicht überdosiert werden, da nur ein begrenzter Anteil resorbiert und ein Überschuss des wasserlöslichen Vitamins wieder ausgeschieden wird.
In der Vergangenheit wurde beobachtet, dass der Vitamin B12-Spiegel bei einigen Krebserkrankungen erhöht sein kann. Der Zusammenhang wurde teilweise bestätigt, es liegen allerdings noch keine abschließenden Erkenntnisse vor. In der Tat weisen jedoch neuere Untersuchungen darauf hin, dass möglicherweise bestimmte Krebsarten die B12-Werte erhöhen könnten20.
Die Diagnose des Vitamin B12-Status allein über Messung des Gesamt-Vitamin B12 im Blut ist mit einem einzigen Laborparameter oft nicht eindeutig möglich21. Bei Blutspiegeln unter 200 ng/l ist ein schwerer Vitamin B12-Mangel jedoch sehr wahrscheinlich. Nur bei einem Gesamt-Cobalamin-Spiegel über 400 ng/l kann mit ausreichender Wahrscheinlichkeit von einer ausreichenden Vitamin B12-Versorgung ausgegangen werden. Bei Werten zwischen 200 und 400 ng/l ist eine Differenzierung mit Hilfe der Messung des „aktiven“ Vitamin B12 (Holotranscobalamin (Holo-TC)) sinnvoll. Die Bestimmung von Stoffwechselverbindungen, die sich bei Vitamin B12-Mangel in den Gewebezellen anreichern, geben den sichersten Aufschluss über die tatsächliche Vitamin-B12-Aktivität in den Zellen. Die hierfür verwertbaren Verbindungen sind Methylmalonsäure (MMA) oder Homocystein, deren Messung jedoch aufwändiger ist als die Blutspiegelbestimmungen. Wenn man mit einem einzigen Laborwert den größtmöglichen Aufschluss erhalten möchte, bietet sich der Holo-TC-Wert an, der bei einem Wert unter 35 pmol/l den frühesten Parameter eines Vitamin B12-Mangels darstellt; der „Graubereich“ liegt zwischen 36 und 55 pmol/l. Bei Niereninsuffizienz können alle Laborparameter unzuverlässig sein, so dass ein Behandlungsversuch mit Vitamin B12 indiziert ist.