Die Zahl der Menschen mit Diabetes mellitus steigt weltweit dramatisch an – und mit ihr die Bedeutung wirksamer Präventions- und Therapiekonzepte. Ein zentraler Baustein dabei ist die Ernährung: Sie beeinflusst maßgeblich das Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken, und spielt auch in der Behandlung eine entscheidende Rolle. Wie groß ihr Potenzial tatsächlich ist, welche Ernährungsformen wissenschaftlich gut belegt sind und welche Rolle einzelne Biofaktoren im Stoffwechselgeschehen übernehmen, erläutert Prof. Peter Grimm, Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB) im Interview.
Prof. Grimm, die Zahl der Menschen mit Diabetes mellitus nimmt weltweit stetig zu. Welche Bedeutung spielt die Ernährung in Prävention und Therapie dieser Erkrankung?
Prof. Grimm:Ernährung ist tatsächlich einer der zentralen Faktoren – sowohl bei der Entstehung als auch bei der Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2. Studien zeigen, dass sich ein großer Teil der Fälle durch eine konsequente Lebensstilmodifikation vermeiden ließe. Eine ausgewogene Ernährung, die reich an Ballaststoffen, Gemüse, Hülsenfrüchten und ungesättigten Fettsäuren ist und gleichzeitig den Konsum von Zucker, Weißmehlprodukten und gesättigten Fetten begrenzt, kann die Insulinsensitivität verbessern und den Blutzuckerspiegel stabilisieren. Auch bei bereits bestehendem Diabetes kann eine gezielte Ernährungsumstellung den Medikamentenbedarf deutlich reduzieren – teilweise sogar zu einer Remission führen.
Welche Ernährungsformen haben sich in wissenschaftlichen Studien besonders bewährt?
Prof. Grimm:Besonders gut belegt ist die mediterrane Ernährung. Sie kombiniert pflanzenbetonte Kost, hochwertige Fette – etwa aus Olivenöl und Nüssen – sowie maßvollen Fisch- und Fleischkonsum. In mehreren randomisierten Studien zeigte sich, dass diese Ernährungsweise das Risiko für Typ-2-Diabetes signifikant senken kann. Auch die DASH-Diät und Varianten einer moderaten Low-Carb-Ernährung können effektiv sein. Wichtig ist weniger das Dogma einer bestimmten Diät, sondern die langfristige Umsetzbarkeit im Alltag. Kurzzeitige, stark restriktive Diäten führen selten zum Erfolg, wenn sie nicht nachhaltig integriert werden können.
Wie schätzen Sie die Rolle einzelner Nährstoffe und Biofaktoren im Stoffwechselgeschehen bei Diabetes ein?
Prof. Grimm:Eine sehr wichtige Frage. Neben der Makronährstoffverteilung spielen Biofaktoren wie Vitamine und Mineralstoffe eine wichtige Rolle. Vitamin D, Magnesium, Zink, Chrom, B-Vitamine und Antioxidantien wie Vitamin E und C beeinflussen Enzymaktivität, Insulinsignalwege und Entzündungsprozesse. Beispielsweise ist Magnesium für die Insulinwirkung essenziell, und ein Mangel kann die Glukosetoleranz verschlechtern. Auch die Versorgung mit Vitamin D steht zunehmend im Fokus – ein Mangel ist häufig mit einer erhöhten Insulinresistenz assoziiert. Dennoch sollte man Supplemente immer individuell einsetzen und den Status prüfen, bevor man substituiert.
Viele Patientinnen und Patienten sind verunsichert: „Darf ich überhaupt noch Kohlenhydrate essen?“ – Wie lautet Ihre Einschätzung?
Prof. Grimm:Kohlenhydrate sind nicht grundsätzlich „verboten“. Entscheidend ist die Qualität. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Gemüse führen zu einem langsameren Blutzuckeranstieg, da sie reich an Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen sind. Diese senken zudem das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Problematisch sind hingegen stark verarbeitete Kohlenhydrate, gezuckerte Getränke und Süßwaren. Ich empfehle, den glykämischen Index zu berücksichtigen, aber nicht zu dogmatisch: Eine Mahlzeit ist immer mehr als die Summe ihrer Teile.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Versorgungslage und das Ernährungsverhalten in Deutschland?
Prof. Grimm:Leider ist Übergewicht nach wie vor einer der größten Risikofaktoren für Diabetes. Etwa zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland gelten als übergewichtig. Gleichzeitig nimmt der Anteil industriell verarbeiteter Lebensmittel zu, während frische, pflanzenbasierte Kost oft zu kurz kommt. Es fehlt an praktischer Ernährungsbildung und an strukturellen Maßnahmen – etwa in Schulen oder Betrieben. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, um Prävention stärker in den Alltag zu integrieren.
Zum Abschluss: Welche Botschaft möchten Sie Fachkolleginnen und Fachkollegen sowie betroffenen Menschen mitgeben?
Prof. Grimm: Ernährung ist ein wirksames Therapeutikum – oft stärker, als viele denken. Mein Appell lautet: Nutzen Sie die Chance der Ernährungstherapie konsequent und individuell. Es geht nicht um Verbote, sondern um positive Veränderungen, die Freude bereiten und langfristig wirken. Jeder kleine Schritt zählt – und oft bewirken schon moderate Anpassungen eine deutliche Verbesserung von Blutzucker, Blutdruck und Wohlbefinden. Ernährung ist Medizin, wenn man sie bewusst einsetzt.
Vielen Dank, Prof. Grimm, für das Interview.
Sie interessieren sich für weitere Informationen zum Einsatz von Biofaktoren bei Diabetes und beim metabolischen Syndrom? Am 25. Oktober 2025 fand das internationale Online-Fachsymposium der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB) statt: Das Thema: „Metabolisches Syndrom – Biofaktoren im Fokus“ Experten und Expertinnen präsentierten umfangreiche wissenschaftliche Daten, klinisch relevante Fallbeispiele und praxisorientierte therapeutische Empfehlungen. Die Inhalte zeigten eindrucksvoll, welchen wichtigen Stellenwert Biofaktoren in der Prävention und Therapie des metabolischen Syndroms einnehmen. Hier finden Sie weiterführende Informationen: |

