Im Vergleich zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den Themen Erkrankungen oder Pharmakotherapie gibt es in den Bereichen Ernährung und Biofaktorenstatus noch vergleichsweise wenig fundierte Daten. Was bisher bekannt ist, zeigt dieser Beitrag.
Durch die unterschiedliche Körpermasse und -zusammensetzung haben Männer in der Regel einen höheren Grundumsatz und Energiebedarf im Vergleich zu Frauen. Dadurch benötigen Frauen aufgrund ihres geringeren Energiebedarfs eine Ernährung mit einer höheren Nährstoffdichte, auch um die Versorgung mit essenziellen Biofaktoren wie Vitaminen & Co. sicherzustellen.1
Einzelne Studien zeigten hinsichtlich der Biofaktorenversorgung signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede bei Eisen, Selen, Vitamin B1, Vitamin B3 und Vitamin A.2 Und laut der Nationalen Verzehrsstudie II erreichen beispielsweise 8 % der Männer und 26 % der Frauen die empfohlene Tageszufuhr von Vitamin B12 nicht; bei den jungen Frauen sind es sogar 33 %.3 Auch die mittlere Calciumzufuhr liegt im Durchschnitt bei Frauen niedriger als bei Männern, allerdings bei beiden Geschlechtern gleichermaßen unter den empfohlenen 1000 mg pro Tag. Und im Falle von Jod liegen unter Berücksichtigung der Verwendung von jodiertem Speisesalz 28 % der Männer und 53 % der Frauen unter der Empfehlung der Ernährungsgesellschaften.
Vitamin-B12-Mangel und die Rolle der Geschlechter
Eine Kohortenstudie an knapp 8.000 Probanden zeigte deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der Vitamin-B12-Versorgung.4 Die mittleren Vitamin-B12-Serumspiegel betrugen 312,36 und 284,31 pmol/L für Frauen bzw. Männer. Die Mangelprävalenz war mit 25,5 % bei Männern im Vergleich zu Frauen mit 18,9 % größer; Männer waren häufiger von einem schweren Vitamin-B12-Mangel betroffen. Das Fazit der Forscher „In der gesunden Bevölkerung sind Männer anfällig für Vitamin-B12-Mangel. Dies kann weder durch Ernährungsgewohnheiten noch durch Östrogeneffekte erklärt werden. Es wird daher vermutet, dass genetische Variationen eine Rolle spielen.“
Geschlechterunterschied in Vitamin-C-Status und kognitiver Funktion
Eine Querschnittsstudie konnte eine signifikante Wechselwirkung zwischen Plasmavitamin C und Geschlecht bei der kognitiven Funktion nachweisen.5 Dabei war die Leistung von Männern mit Vitamin-C-Mangel bei Aufgaben mit Komponenten des Gedächtnisses (kurz/verzögert), der Hemmung und der visuellen Wahrnehmung schlechter, während Frauen unter Vitamin-C-Mangel bei Aufgaben mit psychomotorischer Leistung und motorischer Geschwindigkeit schlechter abschnitten. Zudem zeigten Frauen mit ausreichender Vitamin-C-Versorgung im Vergleich zu Männern eine höhere Leistung bei Aufgaben, die mit Erinnerung, Erkennung, Aufmerksamkeit und Konzentration einhergehen. Allerdings sind hier laut der Autoren weitere Untersuchungen nötig, um eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen.
Eisenmangel: erhöhtes Risiko bei Frauen
Eisenmangel betrifft etwa 30% der Weltbevölkerung6 und ist der weltweit häufigste ernährungsbedingte Mangel eines Biofaktors: 14 % der Männer und sogar 75 % der Frauen im gebärfähigen Alter erreichen nicht die empfohlenen Zufuhrmengen der D-A-CH-Fachgesellschaften.7
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Was ist noch bekannt?8 Es wurde ein geschlechtsspezifischer negativer Zusammenhang zwischen der alimentären Eisenaufnahme und zellulären Alterungsmarkern gefunden. Die Eisenaufnahme zeigte schädliche Auswirkungen auf die Länge der Leukozyten-Telomere im peripheren Blut bei Frauen und auf die Anzahl der mitochondrialen DNA-Kopien bei Männern. Untersuchungen über den Eisenstoffwechsel weisen auch darauf hin, dass sich bestimmte neurologische Störungen oder ein erhöhtes Fortschreiten bereits vorhandener neurologischer Störungen bei MS, Parkinson, Alzheimer und Schlaganfall bei Frauen und Männern während des Alterns unterscheiden. Dies könnte auf unterschiedliche Mechanismen hindeuten, die an der Eisenhomöostase und der Pathogenese von Krankheiten beteiligt sind. Auch unterscheiden sich die subkortikalen Gehirneisenkonzentrationen zwischen älteren Männern und Frauen. Altersbedingte Veränderungen des Östrogenspiegels könnten als Ursache in Frage kommen.
Gendermedizin: Fazit für die Praxis?
Eine möglichst individuelle Behandlung der Patienten unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Gendermedizin ist zu begrüßen. Dafür ist es wichtig, geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Physiologie, Diagnostik, Prävention und Therapie zu kennen. Dies gilt auch für die Bereiche Ernährung und Biofaktorenversorgung – auch wenn hier noch Forschungsbedarf besteht.
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Literatur
(1) www.springermedizin.at/meduniwien/endokrinologie/kautzky-willer/23829624
(2) Isabirye N et al.: Dietary Micronutrients and Gender, Body Mass Index and Viral Suppression Among HIV-Infected Patients in Kampala, Uganda. Int J MCH AIDS. 2020; 9(3): 337-349
(3) Max Rubner-Institut (MRI): Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbericht, Teil 2. Karlsruhe, 2008. www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Institute/EV/NVSII_Abschlussbericht_Teil_2.pdf, S. 123-124
(4) Margalit I et al.: Vitamin B12 Deficiency and the Role of Gender: A Cross-Sectional Study of a Large Cohort. Ann Nutr Metab 2018; 72(4): 265-271
(5) Travica N et al.: Gender Differences in Plasma Vitamin C Concentrations and Cognitive Function: A Pilot Cross-Sectional Study in Healthy Adults. Curr Dev Nutr 2020 Apr; 4(4): nzaa038
(6) Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (Hrsg.): Eisenmangel und Eisenmangelanämie. Empfehlungen der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen, Juli 2022
(7) www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/eisen/
(8) Kezele TG et al.: Age-Related Changes and Sex-Related Differences in Brain Iron Metabolism. Nutrients 2020 Sep; 12(9): 2601