Aktuelle Studie zeigt: Senioren erhalten zu viele ungeeignete Arzneimittel

Gerade bei älteren und multimorbiden Patienten werden viele Arzneimittel verordnet, die für sie mitunter ungeeignet sind und als potentiell inadäquate Medikation – abgekürzt PIM – bezeichnet werden. 2022 war jeder zweite Patient ab 65 Jahren davon betroffen – so das Ergebnis einer Analyse des wissenschaftlichen Institutes der AOK. 

Grundlage für die Analyse1 war die sogenannte Priscus-Liste. In dieser Liste sind Arzneistoffe zusammengestellt, die zum einen relativ häufig verordnet werden und zum anderen ein mögliches Risikopotenzial für Senioren bergen. Beispielsweise sind Arzneimittel gelistet, die die Wahrnehmung verschlechtern und das Sturzrisiko erhöhen können. Und Stürze wiederum können gerade bei altersbedingter Osteoporose zu Frakturen führen und eine Krankenhauseinweisung mit weiteren Komplikationen nötig machen.

Priscus 2.0:2

Erstmals ist die Priscus-Liste im Jahre 2010 mit 83 Arzneiwirkstoffen veröffentlicht worden.

Im Jahr 2022 wurde die Version 2.0 publiziert, die nun mehr als 177 Arzneiwirkstoffe enthält, die für ältere und multimorbide Patienten als potentiell inadäquate Medikation (PIM) eingestuft werden.3

Vorsicht bei Säureblockern

Laut Priscus 2.0 betrifft mehr als die Hälfte der Langzeitverordnungen potentiell inadäquater Medikamente von acht Wochen und länger Säureblocker wie Protonenpumpeninhibitoren. Und das obwohl Säureblocker laut Studienergebnissen bei Langzeiteinnahme in Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Demenz,4 chronischen Nierenerkrankungen5 und sogar einem erhöhten Sterberisiko6 stehen.

Aber auch andere gängige Arzneimittel wie Analgetika, Antidepressiva oder Arzneimittel gegen Blasen- und Prostataerkrankungen werden in der aktuellen Priscus-Liste aufgeführt.

Arzneimittel als Biofaktoren-Räuber7,8

Neben einem erhöhten Nebenwirkungspotential und einer vermehrten Leber- und Nierenbelastung gerade bei älteren Patienten können Arzneimittel generell auch den Biofaktorenstatus negativ beeinflussen. Biofaktoren wie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sind Stoffe, die der Körper für seine physiologischen Funktionen braucht und die eine gesundheitsfördernde oder krankheitsvorbeugende biologische Aktivität haben. Und wenn Arzneimittel zu Biofaktoren-Räubern werden, können daraus bei Langzeiteinnahme weitere teils ernsthafte gesundheitliche Probleme entstehen.

Die oben erwähnten Protonenpumpenhemmer beispielsweise erhöhen bei Langzeiteinnahme das Risiko für einen Vitamin-B12-Mangel. Säureblocker wie PPI´s hemmen die Aktivität der Belegzellen im Magen – Belegzellen, die Magensäure produzieren, die aber wiederum der Organismus benötigt, um den Biofaktor Vitamin B12 aus dem Nahrungseiweiß zu lösen. Außerdem bilden Belegzellen den für die Vitamin-B12-Resorption notwendigen Intrinsic Faktor. Infolge einer Therapie mit Säureblockern kann es daher zu einem Vitamin-B12-Mangel kommen.9

Was passiert, wenn Vitamin B12 zu niedrig ist?

Symptome eines leichten Vitamin-B12-Mangels:

  • Schlafstörungen, Müdigkeit und Erschöpfung
  • Konzentrationsstörungen, Gedächtnisschwäche, Verwirrtheit
  • Stimmungstiefs
  • Schwindel
  • Appetitlosigkeit
  • Zungenbrennen und Mundwinkelrhagaden

Symptome eines schweren Vitamin-B12-Mangels:

  • hämatologische Erkrankungen: megaloblastäre Anämie (Perniziosa)
  • funikuläre Myelose: Degeneration des Hinter- und Seitenstranges und Polyneuropathie mit Parästhesien, Sensibilitätsstörungen, Störungen der Tiefensensibilität, Gang- und Standunsicherheit, Ataxie, erhöhter Sturzneigung und Lähmungen
  • Aufmerksamkeitsdefizitstörungen
  • Stupor, Psychosen, Halluzinationen, Burnout-Syndrom
  • Depressionen
  • Demenz
  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Homocystein-Stoffwechsel)

Wie den Biofaktor Vitamin B12 supplementieren?10,11

Parenterale Therapie 

Therapie-Einheit = 1000 µg (Cyano-)Cobalamin s.c. od. i.m.

  • 1 Woche täglich, dann
  • 1 Monat wöchentlich, dann
  • lebenslang alle 1-3 Monate

Orale Therapie

Therapie-Einheit = 1 Tablette 1000 µg Cobalamin

  • 1 Monat 1(-2) Tabletten/Tag, dann
  • meist lebenslang 1 Tablette/Tag (bis 1 Tablette/Woche) in Abhängigkeit von Kontrollen der Serumspiegel

Der Ausgleich des Vitamin-B12-Mangels ist durch die Verfügbarkeit einer hochdosierten oralen Form erleichtert worden, die eine vom Intrinsic-Faktor unabhängige Aufnahme durch passive Diffusion im gesamten Dünndarm ermöglicht

 

Am 18. November 2023 findet das 13. Symposium der GfB als Online-Veranstaltung zum Thema „Biofaktoren und Hirnleistung – eine Bestandsaufnahme. Wissenschaftliche Erkenntnisse und fundierte Praxistipps“ statt

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Literatur:


1) www.aok.de/gp/wirtschaftliche-verordnung/priscus-liste

2) www.priscus2-0.de

3) www.priscus2-0.de/fileadmin/media/PRISCUS_1/PIM_final_gesamt_lang_040510.pdf

4) Gomm et al.: AgeCoDe. German study on ageing, cognition and dementia in primary care patients. JAMA Neurol 2016; 73: 410.

5) www.gelbe-liste.de/nachrichten/protonenpumpenhemmer-nierenerkrankungen-elektrolytstoerungen

6) Xie Y et al.: Risk of death among users of Proton Pump Inhibitors: a longitudinal observational cohort study of United States veterans BMJ Open 2017 Jul 4; 7(6): e015735.

7) Mohn et al.: Evidence of Drug-Nutrient interactions with chronic use of commonly prescribed medications: An update. Pharmaceutics 2018; 10: 36

8) Samaras D et al.: Effects of widely used drugs on micronutrients: A story rarely told. Nutrition 2013; 29: 605-610

9) Lam JR et al.: Proton pump inhibitor and histamine 2 receptor antagonist use and vitamin B12 deficiency. JAMA 2013 Dec; 310(22): 2435-2442

10) Andrès et al.: Systematic review and pragmatic clinical approach to oral and nasal vitamin B12 (Cobalamin) treatment in patients with vitamin B12 deficiency related to gastrointestinal disorders. J Clin Med 2018 Oct; 7(10): 304

11) Wang H et al.: Oral vitamin B12 versus intramuscular vitamin B12 for vitamin B12 deficiency. Cochrane Database of Syst Rev 2018 Mar 15; 3(3): CD004655