Internationales Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren: Experten betonen den Stellenwert der Vitamine und Mineralstoffe bei metabolischen Erkrankungen

Bukarest – Mangelerscheinungen an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen werden im klinischen Alltag oftmals übersehen und unterschätzt. Dabei treten diese bei Risikogruppen nicht selten auf und können hier u.a. metabolische und neurologische Erkrankungen fördern. Über den Stellenwert von Biofaktoren in der Prävention und Therapie dieser Erkrankungen diskutierten renommierte Wissenschaftler und Ärzte aus Rumänien, Ungarn und Deutschland am 8. September 2016 auf einem internationalen Symposium, das von der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB) in Zusammenarbeit mit der Stiftung der Gesellschaft für Nervenschutz und Nervenplastizität (Foundation of the Society for the Study of Neuroprotection and Neuroplasticity) in Bukarest veranstaltet wurde.

„Nach Meinung der meisten Ernährungsexperten deckt eine abwechslungsreiche und ausgewogene Ernährung den Bedarf an allen lebenswichtigen Biofaktoren. Das triff aber nur auf die gesunde Bevölkerung zu“, gab der Vorsitzende der GfB, Prof. Hans-Georg Classen aus Stuttgart-Hohenheim (Deutschland), zu bedenken. Insbesondere Menschen, die an metabolischen Erkrankungen leiden und/oder Arzneimittel einnehmen, haben einen deutlich erhöhten Bedarf an Biofaktoren, der eine gezielte Supplementation erforderlich mache, so Classen. Dies gelte ebenso für viele Schwangere oder Menschen, die sich unausgewogen ernähren, wie z.B. Veganer oder Diättreibende.

Obwohl es zu den biologischen Grundlagen der Medizin zählt, dass Vitamine und Mineralstoffe beispielsweise für die physiologische Funktion der Nerven unverzichtbar sind, wird das Problem einer Unterversorgung oftmals unterschätzt. „Dabei unterstreichen sowohl aktuelle als auch frühere Daten die Rolle einiger Biofaktoren bei neurologischen Erkrankungen“, betonte Prof. Tudor Lupescu, Leiter der Neurologischen Abteilung der Prof. Dr. Agrippa Ionescu-Notfallklinik in Bukarest (Rumänien). So erinnerte der Neurologe an die Bedeutung der B-Vitamine bei der diabetischen Neuropathie und bei der Wernicke Enzephalopathie. Außerdem wurde eine klare Korrelation zwischen Vitamin-D-Mangel und der Multiplen Sklerose beobachtet.

Jedes Defizit wird zum limitierenden Faktor der Gesundheit
„Eine Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied.“ - Das gilt auch für die Versorgung mit Biofaktoren, wie Prof. Classen deutlich machte: An keinem essentiellen Biofaktor darf es mangeln, da komplexe wechselseitige Beziehen bestehen. So kann die übliche Behandlung der alkoholbedingten Wernicke-Korsakoff-Enzephalopathie mit Vitamin B1 (Thiamin) erfolglos bleiben, wenn gleichzeitig ein Magnesium-Mangel besteht. Denn das entscheidende Enzym, das aktiviert werden muss, die Transketolase, benötigt neben Thiamin auch Magnesium als Cofaktor. Ein Magnesium-Mangel sei häufig auch mit einer Hypokalzämie assoziiert, obwohl ausreichend Kalzium und Vitamin D zugeführt werden, erläuterte der Magnesium-Forscher Classen. Denn das Magnesium-Defizit beeinträchtigt den Vitamin-D-Stoffwechsel und die Kalzium-Resorption. Eine Unterversorgung mit dem Mineralstoff zieht außerdem an der Zelle sekundäre Elektrolytstörungen nach sich, wie einen intrazellulären Kalium-Mangel und eine Natrium- und Kalzium-Überladung, wodurch Hypertonie und Spasmen gefördert werden.

Magnesium bei kardiovaskulären Erkrankungen
Gezielt eingesetzt können Biofaktoren nicht nur präventive, sondern auch therapeutische Effekte haben. So wies der Kardiologe Prof. Joseph Borbola aus Budapest (Ungarn) auf den Stellenwert des Magnesiums bei kardiovaskulären Erkrankungen hin: Verschiedene Studien zeigten, dass eine hohe Magnesium-Zufuhr mit der Nahrung nicht nur bei kardiovaskulären Risikofaktoren, sondern auch bei plötzlichem Herztod (durch Arrhythmien) und koronaren Herzerkrankungen eine protektive Rolle spielt. Prof. Borbola verwies dabei auf die besonderen Eigenschaften des Magnesiumorotats: Die darin enthaltenen Orotat-Ionen haben einen positiven Einfluss auf den intrazellulären Magnesium-Status und sind auch wichtige Cofaktoren für die Uridin-, DNS- und RNS-Synthese. Die Verbindung werde daher sowohl zur Behandlung eines Magnesium-Mangels angewendet als auch als adjuvantes Therapeutikum bei kardiovaskulären Erkrankungen wie Hypertonie, Arrhythmien, koronaren Herzerkrankungen und Herzinsuffizienz. Magnesiumorotat sei eine einzigartige, lang bewährte Magnesium-Therapie in der kardiovaskulären Medizin, fasste Prof. Borbola zusammen.

Benfotiamin: Therapieoption bei diabetischen Komplikationen
Auch bei Diabetes können Biofaktoren therapeutische Effekte haben: „Jenseits der Blutzuckerkontrolle sind Benfotiamin und Alpha-Liponsäure die derzeit einzigen verfügbaren Substanzen für eine pathogenetisch orientierte Behandlung diabetischer Komplikationen“, sagte PD Dr. Alin Stirban, Leiter der Abteilung Diabetes und Endokrinologie am Sana Klinikum und Sana Arztpraxen in Remscheid (Deutschland).
Benfotiamin ist eine hoch bioverfügbare Vorstufe vom Vitamin B1, die angewendet wird, wenn hohe therapeutische Dosierungen erforderlich sind. Wie Studien zeigten, kann Benfotiamin vier hyperglykämieinduzierte Pathomechanismen hemmen, die diabetische Folgeerkrankungen verursachen. Zudem übt es antioxidative Effekte aus. Welchen Nutzen das für die Patienten haben kann, verdeutlichte Dr. Stirban anhand klinischer Studien: Diese zeigten die Wirksamkeit von Benfotiamin in der Behandlung der diabetischen Neuropathie bei gleichzeitig exzellenter Verträglichkeit. Darüber hinaus deuten erste Studiendaten auch positive vaskuläre Effekte an.

Risikofaktor Alter: Vitamin-Mangel ist verbreitet
Gerade ältere Menschen sind häufig von metabolischen und neurologischen Erkrankungen, aber auch von Vitamin-Defiziten betroffen. In Anbetracht des sich stetig vergrößernden Anteils älterer Menschen an der gesamten Bevölkerung ist dies ein zunehmendes Problem, wie Prof. Gabriel-Ioan Prada von der Universität für Medizin und Pharmazie in Bukarest (Rumänien) deutlich machte. „Vitamine sind sehr wichtig für ältere Menschen mit metabolischen Erkrankungen“, weiß der Experte für Geriatrie und Gerontologie. So erhöhe ein Mangel an Vitamin D das Risiko für das metabolische Syndrom und für einen Typ-2-Diabetes. Auch subklinische Vitamin-B-Mangelzustände seinen bei älteren Menschen nicht selten. Diese fördern wiederum Neuropathien, von denen 70 % der älteren Diabetiker betroffen seien, und erhöhen damit auch deren Sturz- und Frakturrisiko. Im Hinblick auf diabetische Komplikationen bei älteren Personen habe das Thiamin-Prodrug Benfotiamin sowohl präventive als auch therapeutische Effekte, so Prof. Prada.

Vitamin B12-Mangel: das typische Symptom-Muster erkennen
Auch ein Mangel an Vitamin B12 ist insbesondere bei älteren Menschen ein verbreitetes Problem, erläuterte Prof. Karlheinz Reiners, ehemaliger stellvertretender Direktor der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Würzburg (Deutschland): „Die meisten Mangelzustände treten in der Altersgruppe über 50 Jahren auf und resultieren aus einer insuffizienten intestinalen Absorption“, so der Neurologe. In jüngeren Jahren zählen restriktive Diäten, wie z.B. bei Vegetariern bzw. Veganern, zu den Hauptursachen eines Mangels. Leider werde der Vitamin-B12-Mangel aufgrund seiner unspezifischen Symptomatik zu oft übersehen, beklagte Prof. Reiners. Wichtig sei, das typische Muster des Vitamin-B12-Mangels zu erkennen, das aus hämatologischen, neurologischen und psychischen Symptomen bestehe. Die schwerwiegendste neurologische Folge des Mangels sei die funikuläre Spinalerkrankung oder Myelose, die durch eine Degeneration von langen Rückenmarksbahnen, insbesondere der Hinterstrangbahnen und der Pyramidenbahn, gekennzeichnet sei. Das könne sich durch Gangunsicherheit (sensible Ataxie) oder sensible Defizite in den Füßen bemerkbar machen, wie z.B. ein Manschettengefühl an den Fesseln oder auch durch „brennende Füße“ („burning feet“). Darüber hinaus können depressive Verstimmungen und kognitive Einbußen bis hin zur Demenz auftreten. „In den letzten Jahren zeigte sich, dass eine Vitamin-B12-Supplementation eine der wenigen Behandlungsoptionen ist, die einem altersbedingten Gehirn-Abbau und kognitiven Einbußen entgegenwirken kann“, betonte Prof. Reiners.
Eine positive Nachricht für die Patienten sei zudem, dass - neueren Untersuchungen zufolge – durch eine hoch dosierte orale Therapie mit 1.000 µg Vitamin B12 pro Tag der Mangel ebenso effektiv behandelt werden könne wie durch eine parenterale Behandlung, sagte Reiners. Somit stehe mit der oralen Supplementation eine einfache, sichere und kostengünstige Therapie zur Verfügung.

Insgesamt waren sich die Experten einig, dass der Biofaktoren-Versorgung mehr Beachtung geschenkt werden sollte. „Man sieht nur, was man weiß“, gab Prof. Classen zu bedenken. An mögliche Defizite sollte daher bei Risikogruppen immer gedacht werden. Eine gezielte Supplementation ist in diesen Fällen die Basis einer erfolgreichen Prävention und Therapie.

Quelle:
Internationales Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren „Biofaktoren bei metabolischen Erkrankungen“ am 8. September 2016 in Bukarest