DGN-Leitlinie warnt vor Topiramat in Schwangerschaft: Kann Magnesium eine Alternative in der Migräneprophylaxe sein?

Topiramat ist zur Migräneprophylaxe in der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter ohne Empfängnisverhütung kontraindiziert. So lautet eine aktuelle Warnung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie aufgrund aktueller Studienergebnisse.

Topiramat – ein Wirkstoff aus der Gruppe der Antikonvulsiva – wird nicht nur bei Epilepsie eingesetzt, sondern in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) auch seit Jahren als Substanz der ersten Wahl in der Migräneprophylaxe empfohlen.

Schwangere Frauen mit Epilepsie benötigen Anfallsmedikamente wie Topiramat, um Anfälle in der Schwangerschaft zu verhindern. Studien zeigten allerdings nun, dass eine pränatale Exposition des Fetus bzw. Embryos gegenüber Topiramat mit einem erhöhten Risiko für neurologische Entwicklungsstörungen verbunden ist. Die Prävalenz von Autismus-Spektrum-Störungen, geistiger Behinderung oder ADHS bei Kindern von Müttern mit Epilepsie, die während der Schwangerschaft Topiramat eingenommen hatten, ist zwei- bis dreimal höher als bei Kindern von Müttern mit Epilepsie ohne eine Topiramat-Einnahme.1

Auch andere Studien bestätigten bei schwangeren Frauen den negativen Einfluss von Topiramat – und anderen Antiepileptika wie Valproat – auf die Neuroentwicklung der Kinder.2

Neue DGN-Leitlinie: Vorsicht vor Topiramat in der Schwangerschaft

Diese Studienergebnisse nahm die DGN zum Anlass, ihre Empfehlungen zur Prophylaxe der Migräne im Januar 2024 zu aktualisieren.3 Auch „bereits frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Topiramat bei Anwendung während der Schwangerschaft schwere angeborene Fehlbildungen und fetale Wachstumsbeeinträchtigungen verursachen kann. Säuglinge … haben ein etwa dreifach erhöhtes Risiko für schwere angeborene Fehlbildungen einschließlich Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Hypospadien und Anomalien verschiedener Körpersysteme. Das absolute Risiko schwerer angeborener Fehlbildungen nach einer Topiramat-Exposition liegt zwischen 4,3% und 9,5%“, warnt die DGN.

Was sind im Einzelnen die Empfehlungen:

  • Topiramat ist zur Migräneprophylaxe in der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine hoch wirksame Empfängnisverhütung anwenden, kontraindiziert.
  • Wird Topiramat zur Migräneprophylaxe bei einer Patientin im gebärfähigen Alter erwogen, muss sehr sorgfältig über die Risiken im Falle einer Schwangerschaft und die Notwendigkeit einer sicheren Kontrazeption aufgeklärt werden.
  • Aufgrund von Wechselwirkungen kann eine Kontrazeption mit systemischen hormonellen Kontrazeptiva unzureichend sein.
  • Wenn eine Frau unter Topiramat-Behandlung zur Migräneprophylaxe schwanger wird, muss die Behandlung sofort abgebrochen werden.
  • Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter, für deren Behandlung ein monoklonaler Antikörper gegen CGRP/CGRP-Rezeptor erwogen wird und bei denen deshalb das Versagen gängiger Therapien nachgewiesen werden muss, verbietet sich der Behandlungsversuch mit Topiramat; sie benötigen deshalb eine entsprechende Erklärung für die Kostenträger.

Auch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) weist darauf hin, dass Ärzte ihre Patientinnen im gebärfähigen Alter über die Risiken einer Topiramat-Einnahme während der Schwangerschaft informieren sollen.

Migräneprophylaxe: Magnesium als Alternative?

Über eine Migräneprophylaxe sollten Betroffene laut der S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ nachdenken, wenn die Anfälle länger als 72 Stunden anhalten, pro Monat mindestens drei schwere Anfälle auftreten, die Häufigkeit der Anfälle zunehmen, von Auren begleitet sind und/oder eine Akuttherapie mit Triptanen oder Analgetika nicht wirksam bzw. verträglich ist.4

Neben den zur Migräneprophylaxe eingesetzten Arzneimitteln wie Betablockern, Calcium-Kanalblockern, Antiepileptika und Antidepressiva könnte Magnesium eine nebenwirkungsarme Alternative sein. Auch in der S1-Leitlinie wird Magnesium in einer Tagesdosis von 600 mg als mögliche Migräneprophylaxe eingestuft, aber eine zu geringe Evidenzlage betont.

„Der Beitrag eines Magnesiummangels zur Induktion einer kortikalen Depression oder einer abnormalen glutamatergen Neurotransmission ist ein wahrscheinlicher Mechanismus der Magnesium-Migräne-Beziehung“, so das Statement eines Reviews über Magnesium in der Pathogenese der Migräne.5 Der Biofaktor Magnesium ist durch Aufrechterhaltung des elektrischen Potenzials der Neuronen wichtig für die Funktionsfähigkeit des Nervensystems. Als Antagonist der glutamatergen NMDA-Rezeptoren wurde die schmerzlindernde Wirkung von Magnesium bei verschiedenen Schmerzformen und so auch bei akuten Migräneschmerzen untersucht und positiv dokumentiert.6

Magnesium und Migräne: wie ist die Studienlage?

  • In Interventionsstudien konnte nachgewiesen werden, dass beispielsweise eine i.v.-Magnesiumgabe bei Migräneanfällen zu einer signifikanten Verminderung der Schmerzsymptomatik führen kann.7 54 % der Patienten zeigten eine signifikante Schmerzreduktion (≥ 30 %) und 44 % benötigten keine zusätzlichen Schmerzmedikamente.
  • Auch die orale Magnesiumsupplementierung zur Prophylaxe und Behandlung einer Migräne erwies sich in teils randomisierten, doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien als vielversprechend. In einer Studie konnte beispielsweise eine 12-wöchige Gabe von 600 mg Magnesium – in Kombination mit Riboflavin und Coenzym Q10 – zu einer Reduktion der Migränetage, zu einer signifikanten Reduktion der Kopfschmerzintensität und zu einer signifikanten Verbesserung der Lebensqualität führen.8
  • Im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit zeigte sich in einer randomisierten und Placebo-kontrollierten Klasse-1-Evidenz-Studie ebenfalls eine signifikante Reduktion der Migränetage und -attacken durch eine Supplementation mit 600 mg Magnesium täglich und auch in zwei weiteren, Klasse-3-Evidenzstudien ging die Zahl der Migräneattacken und -tage signifikant zurück. Dies entspricht laut der Wissenschaftler einem Evidenzgrad C und lässt den Schluss zu, dass eine Migräneprophylaxe mit Magnesium einen Effekt hat und als sichere und kosteneffiziente Strategie definiert werden kann.9
  • Eine weitere Studie untersuchte die Wirksamkeit von Magnesiumoxid im Vergleich zu Valproat.10 Verglichen wurden 500 mg Magnesiumoxid und 800 mg Valproat über acht Wochen. Trotz einiger Schwächen im Design betonten die Autoren den positiven Nutzen von Magnesium:  Laut der Studie zeigte sich der Biofaktor in der Migräneprophylaxe ähnlich wirksam wie Valproat – mit dem Vorteil, keine Nebenwirkungen zu haben.

Fallbeispiel zeigt: individuelle Magnesium-Tagesdosis wichtig

Die Konzentration des Plasma-Magnesiums ist direkt abhängig vom Logarithmus der oral zugeführten Dosis; das heißt im Einzelfall muss die Dosis deutlich gesteigert werden, um messbare Effekte zu erzielen.11  

In einer Beobachtungsstudie an einer jungen, hypomagnesämischen Studentin (Plasma-Mg 0.68 mmol Mg/L) über 1000 Tage mit häufigen Migräneattacken war die dreiwöchige orale Supplementation mit 15 mmol Magnesium (= 365 mg) als Magnesium-Aspartat-Hydrochlorid wirkungslos bezüglich Plasma-Magnesium und Migränesymptomatik. Erst Dosen von 25-30 mmol Magnesium (= 608-730 mg) waren wirksam während einer Beobachtungszeit von fast zwei Jahren.12

Fazit für die Praxis

Nicht nur bei Schwangeren mit Epilepsie, sondern generell bei allen Migränepatienten ist es ratsam, neben den herkömmlichen Arzneimitteln auch den Magnesiumstatus zu berücksichtigen und einen eventuellen Magnesiummangel gezielt, das heißt unter Kontrolle des Serumspiegels zu beheben (Zielgröße: 0.85 mmol mmol/L). Magnesium kann als Alternative oder Ergänzung zu schulmedizinischen Therapien in Betracht gezogen werden, insbesondere für Patienten, die eine konventionelle Behandlung ablehnen oder nicht gut vertragen.11 Die Akzeptanz und Verträglichkeit einer Magnesiumtherapie werden als äußerst positiv bewertet. Besonders empfehlenswert sind organische Verbindungen des Biofaktors, wie beispielsweise Magnesiumorotat, aufgrund ihrer guten Bioverfügbarkeit. In-vitro-Studien zeigen, dass diese Verbindung eine hohe Absorptionsrate von bis zu 90 % aufweist und den Wirkstoff innerhalb von nur 10 Minuten freisetzt.12

 

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Literatur:


(1) Bjoerk MH et al.: Association of Prenatal Exposure to Antiseizure Medication With Risk of Autism and Intellectual Disability. JAMA Neurol 2022 Jul 1; 79(7):672-681

(2) Werenberg Dreier J et al.: Prenatal Exposure to Antiseizure Medication and Incidence of Childhood- and Adolescence-Onset Psychiatric Disorders. JAMA Neurol 2023 Jun 1; 80(6): 568-577 

(3) www.dgn.org/leitlinie/therapie-der-migraneattacke-und-prophylaxe-der-migrane-2022

(4) Diener HC et al.: Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne. S1- Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie

(5) Domitzr I et al.: Magnesium as an Important Factor in the Pathogenesis and Treatment of Migraine-From Theory to Practice. Nutrients 2022 Mar 5; 14(5): 1089

(6) Shin H-J et al.: Magnesium and Pain. Nutrients 2020 Jul 23; 12(8): 2184

(7) Xu F et al: Experiences of an outpatient infusion center with intravenous magnesium therapy for status migrainosus. Clin Neurol Neurosurg 2019 Mar; 178: 31-35

(8) Gaul C et al.: Improvement of migraine symptoms with a proprietary supplement containing riboflavin, magnesium and Q10: a randomized, placebo-controlled, double-blind, multicenter trial. J Headache Pain 2015; 16: 516

(9) Luckner A von et al.: Magnesium in Migraine Prophylaxis-Is There an Evidence-Based Rationale? A Systematic Review. Headache 2018 Feb; 58(2): 199-209 

(10) Karimi N et al.: The efficacy of magnesium oxide and sodium valproate in prevention of migraine headache: a randomized, controlled, double -blind, crossover study. Acta Neurol Belg. 2021 Feb; 121(1): 167-173

(11)  Classen HG et al.: Cubic function between increasing dietary magnesium levels and the magnesium concentration of serum and bone in young rats. Magnesium 1983; 2: 267-278

(12) Classen HG et al.: Pharmacology of orally administered magnesium salts with special reference to acid-base-status. In: Rayssiguier Y, Mazur A, Durlach J (eds): Advances in Magnesium Research. J. Libbey Comp 2001; 459-463

(13) www.gf-biofaktoren.de/wissenswertes-ueber-biofaktoren/steckbriefe/magnesium-biofaktor-fuer-muskeln-nerven-und-knochen/

(14) Blancquaert L et al.: Predicting and Testing Bioavailability of Magnesium Supplements. Nutrients 2019 Jul 20; 11(7): 1663